Kuratieren im Wandel: Wie Uta Ruhkamp Kunst und Gesellschaft neu denkt
In unserem Jubiläumsjahr stellen wir unregelmäßig Mitarbeitende und ihre Arbeit vor. Uta Ruhkamp arbeitet seit fast 15 Jahren am Kunstmuseum Wolfsburg als Kuratorin und hat große Ausstellungen kuratiert, darunter zu Künstler*innen wie Jeppe Hein, Pieter Hugo, Kapwani Kiwanga und gegenwärtig Firelei Báez, aber auch umfassende Themenausstellungen wie Empowerment und In aller Munde. Wir sprechen mit ihr über das Kuratieren im Wandel der Zeit, wie Digitalisierung ihre Arbeit beeinflusst und wie man eigentlich ein Ausstellungsthema findet.
Sie sind Kuratorin am Kunstmuseum und haben gegenwärtig die bildgewaltige und sehr gefragte Firelei-Báez-Ausstellungkuratiert. Welche Themen sind für Sie ganz spezifisch relevant, wenn es um Ausstellungen geht? Wo liegt Ihr Augenmerk im Machen?
Grundsätzlich interessiere ich mich für alle Themen innerhalb der Kunst und Kunstgeschichte, interdisziplinäre, aber auch gesellschaftspolitische. Mein besonderes Augenmerk liegt auf globalen, politischen, und feministischen Fragen, die nah am Menschen, der Gesellschaft und dem aktuellen Geschehen angesiedelt sind. Das zeigt sich auch gerade in der Ausstellung der dominikanisch-amerikanischen Künstlerin Firelei Báez, die das Kunstmuseum Anfang Juli eröffnet hat.
Was sind das für Fragen?
Wie gleichberechtigt leben wir in unserer diversen Migrationsgesellschaft? Wie drücken sich Künstler*innen in der Diaspora und in verschiedenen Erdteilen ästhetisch und politisch aus? Was wird als Kunst verstanden? Wie gehen verschiedene Länder mit indigenen Bevölkerungsgruppen um und wie verschaffen sich diese durch Kunst Gehör? Was können wir in Zeiten ökologischer Bedrohungen von diesen lernen? Die Kunst sollte ein freier Ort sein, in dem politische und persönliche Themen direkt oder indirekt verarbeitet und geäußert werden können.
Zuletzt haben Sie unter anderem die erfolgreichen Ausstellungen In aller Munde, Empowerment und Kapwani Kiwanga kuratiert, zwei große Themenausstellungen und eine zu einem regelrechten Shootingstar der Kunstszene. Wie entstehen diese Themen in Ihrem Kopf?
Ganz unterschiedlich: Grundsätzlich lese ich viel, analog wie digital. Ich reise sehr gerne, sehe mir weltweit Ausstellungen an und unterhalte mich auch gern mit Menschen aus aller Welt. Daraus kristallisieren sich dann Themen und Künstler*innen wie z. B. Firelei Báez. Diese Ideen werden innerhalb des Teams unter Berücksichtigung unseres Standortes diskutiert und bestenfalls führen sie zu einer Ausstellung.
Wie sind Sie eigentlich zum Ausstellungsmachen gekommen, wie war Ihr persönlicher Werdegang?
Nach dem Abitur habe ich Kunstgeschichte, Romanische Philologie (Französisch/Italienisch), und Ethnologie studiert und dabei auch in Frankreich und Italien gelebt. Während meiner Promotion habe ich für verschiedene Galerien, eine Kommunikationsagentur sowie als Reiseleiterin und Stadtführerin in Belgien gearbeitet. Ich habe versucht, möglichst viele Berufserfahrungen zu sammeln, sei es, um Geld zu verdienen oder in Form unbezahlter Praktika in Auktionshäusern, Museen etc. Dabei hat sich herausgestellt, dass ich gerne in einem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst arbeiten würde.
Also haben Sie Ihren Traumjob! Mögen Sie verraten, was es im Alltag auch mal für Hürden gibt?
Irgendetwas passiert immer. Ich nenne das kuratorisches Improvisieren. So gut man auch plant, wenn die Kunstwerke ankommen, sieht es dann doch manchmal anders aus. Falsche Maße, die Wand ist zu klein oder zu groß, der Raum zu eng oder der Ton von Sound- und Videoarbeiten überlagert sich zu stark. Dann muss man spontan reagieren.
Und worauf achten Sie, wenn Sie in anderen Häusern Ausstellungen besuchen?
Ich achte auf die Herkunft und Auswahl der Werke, ob diese die Themen oder die Künstler*innen angemessen darstellen, die Architektur und Inszenierung, und darauf, wie Inhalte vermittelt werden. Natürlich beobachte ich auch die Besucher*innen, wie sie sich in der Ausstellung bewegen, ob sie einen Zugang zu den ausgestellten Arbeiten finden, ob sie Freude haben, ob sie überfordert sind, ob sie diskutieren. Man kann immer von Kolleg*innen und ihrer Form des Ausstellungsmachens lernen.
Hat sich etwas über die Zeit, in der Sie als Kuratorin tätig sind, an den Themen und der Künstler*innenauswahl gewandelt oder an der Herangehensweise, diese aufzuspüren?
Die Kunstwelt hat sich durch die Digitalisierung, weltweite Migration oder transnationale Biografien der Künstler*innen globalisiert. Der Zugang zu Wissen ist grenzenlos. Das Problem ist nun die Informations- und Reizüberflutung. Hinzu kommt, dass ab den Neunzigerjahren die ästhetischen Setzungen der europäischen und nordamerikanischen Kunstgeschichte von Kunstschaffenden auf anderen Kontinenten zunehmend infrage gestellt wurden und andere Vorstellungen von Kunst international sichtbarer wurden. Die europäische Ausstellungslandschaft hat sich verändert und der Druck auf Museen, die Sammlungen und das Ausstellungsprogramm zu diversifizieren und zu globalisieren, ist immer stärker geworden. Multiperspektivität, Gleichberechtigung, transnationale, intersektionale Feminismen, Empowerment, Kolonialismus, Diskriminierung, Migration und Diaspora, aber auch Ökologie und Zukunftsperspektiven spielen nun eine Rolle, wenn es um Sammlungspolitik und ein ausgewogenes Ausstellungsprogramm geht. Persönlich empfinde ich das als extrem spannend.
Und hat sich die Zusammenarbeit mit Künstler*innen auch geändert?
Ja, die Pandemiezeit hat uns gelehrt, dass vieles auch in Videokonferenzen diskutiert und entwickelt werden kann. PowerPoint-Präsentationen, Architekturpläne und Visualisierungen werden digital geteilt und besprochen, sodass weniger Reisen notwendig sind. Das hat Vorteile, wenn man mit Künstler*innen von anderen Kontinenten arbeitet. Die Zeitersparnis hat aber auch zu einem extremen Multitasking geführt. Einige Künstler*innen gehen von einem Meeting in das nächste und stemmen viele Projekte gleichzeitig. Im Extremfall sind sie zur Ausstellungseröffnung das erste Mal vor Ort. Das hat Konsequenzen für die Zusammenarbeit, die in einigen Fällen pragmatischer geworden ist. Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich die besondere Nähe oder Bindung, die durch den intensiven, persönlichen Austausch entsteht, manchmal.
Was hat sich an der Art und Weise, wie Ausstellungen gestaltet werden, in den letzten 14 Jahren gewandelt?
Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema, sei es im Hinblick auf die Ausstellungsgrafik, Architektur, Inszenierung oder auch im Hinblick auf interkontinentale Transporte. Was ist ökologisch vertretbar? Wir arbeiten zum Beispiel weniger mit physischen Modellen, sondern nun mit 3‑D-Visualisierungen. Inklusion und Partizipation sind in den Fokus gerückt. Ausstellungen werden stärker von den Besucher*innen aus gedacht. So bieten wir zum Beispiel sämtliche Ausstellungstexte in drei Versionen an: Einfache Sprache, Deutsch und Englisch.
Inwiefern? Wie hat sich denn das Publikum im Laufe der Zeit verändert?
In vielen Museen ist das Durchschnittsalter der Besucher*innen jenseits der Schulklassen recht hoch. Das ist nichts Schlechtes, aber momentan sind Museen dabei, sich zukunftsorientiert neu zu definieren, um ein diverses und junges Publikum anzusprechen. Digitale und immersive Erfahrungen locken weltweit Besuchermassen. Wenn beispielsweise ein Erlebnisraum aus projizierten Gemälden von Van Gogh geschaffen wird, stehen die Menschen Schlange. Über diese Entwicklungen lohnt es sich auch bei der eigenen Ausstellungsgestaltung nachzudenken. Neigen Menschen nun dazu, Kunst erleben zu wollen? Vielleicht, es ist ein spielerischeres Lernen. Das haben wir gerade wieder bei unserer Kapwani Kiwanga-Ausstellung medial verfolgen können, in der es einen sehr attraktiven Farblicht-Tunnel gab. Ein Spektakularitätsfaktor spielt also durchaus eine Rolle.
Foto: Marek Kruszewski