Brasilianische Fotografie 1946-1998

23. 10. 1999 — 30. 1. 2000

Infos

Das Kunst­mu­seum Wolfsburg hat in den fünf Jahren seines Bestehens immer wieder das Medium Fotografie in Einzel­aus­stel­lungen von Künstlern gewürdigt. Thema­tisch erfolgte bei der Italie­ni­schen Metamor­phose (1995), Full House (1996) und Sunshine & Noir (1997) eine Konzen­tra­tion auf ein Land oder einen hinsicht­lich seiner künst­le­ri­schen Position besonders relevanten Ort. Die Ausstel­lung „Brasi­lia­ni­sche Fotografie 1946–1998“ kombi­niert beide Ansätze und unter­sucht nicht nur das Medium und die ästhe­ti­schen Grund­sätze der Künstler, sondern sie vermit­telt auch das Bild eines Landes, welches aus europäi­scher Sicht noch als Terra Incognita gelten muss. Im Rahmen der documenta X wurde das Werk der brasi­lia­ni­schen Künstler Lygia Clark und Helio Oiticica einer breiteren Öffent­lich­keit vorge­stellt und das Haus der Kulturen der Welt in Berlin widmete sich 1998 unter dem Titel „Der brasi­lia­ni­sche Blick“ ausführ­lich der Gegen­warts­kunst des Landes.

In Wolfsburg werden 160 Arbeiten von 31 Fotografen aus dem Zeitraum 1946 bis 1998 gezeigt. Ausge­wählt wurden die Künstler und deren Arbeiten durch Rubens Fernandes Junior, dem Direktor der Fakultät für Kommu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaften an der Fundacão Armando Alvares Penteado in São Paulo, einem profunden Kenner der brasi­lia­ni­schen Fotokunst.

Obgleich die Ausstel­lung eine Vielzahl von Werken und Künstlern vereint, so soll mithin nicht der Anspruch erhoben werden, einen erschöp­fenden Überblick über das Thema zu bieten. Vielmehr versucht das Ausstel­lungs­pro­jekt, das Spektrum der brasi­lia­ni­schen Fotografie darzu­stellen, welches von der Dokumen­ta­tion bis zum Experi­ment und von der klassi­schen bis zur innova­tivsten Arbeit reicht.

Der ausge­wählte Zeitraum der Jahre 1946 bis 1998 steht für eine Epoche, in welcher die brasi­lia­ni­sche Fotografie intensiv auf den konti­nu­ier­li­chen Wandel der Gesell­schaft reagiert hat. Insgesamt vier Genera­tionen von Fotografen zeigen, wie sehr die Fotografie zur Gestal­tung einer starken visuellen Identität des Landes beigetragen hat.

In den 40er- und 50er-Jahren haben mit unter­schied­li­chen Ansätzen Geraldo de Barros, Thomaz Farkas, José Medeiros und Pierre Verger in der Dokumentar- wie in der experi­men­tellen Fotografie die wichtige Epoche der Identi­täts­fin­dung der brasi­lia­ni­schen Nation nach dem 2. Weltkrieg begleitet.

Aus den 60er- und 70er-Jahren sind Maureen Bisilliat, Walter Firmo und Luis Humberto zu nennen, die, ausgehend von der spezi­fi­schen regio­nalen Volks­kultur, die Fotografie als unabhän­giges Infor­ma­ti­ons­mittel einsetzten und über ihre Bildin­halte die natio­nalen Identi­täten herausarbeiteten.

In den 80er-Jahren verhalfen Juca Martins, Nair Benedicto, Mario Cravo Neto, Antonio Saggese, Miguel Rio Branco, Araquém Alcântara, Pedro Vasquez, Marcos Santilli, Kenji Ota, Luiz Carlos Felizardo, Sebastião Salgado, Chris­tiano Mascaro, Arnaldo Pappa­lardo und Carlos Fadon Vicente mit politisch unabhän­gigem Bildjour­na­lismus und einer Neufas­sung des Brasilien-Bildes der brasi­lia­ni­schen Fotografie zu inter­na­tio­nalem Ansehen.

In den 90er-Jahren sind es Ed Viggiani, Rubens Mano, Elza Lima, Cássio Vascon­cellos, Luiz Braga, Celso Oliveira, Valdir Cruz, Gal Oppido, Tiago Santana und Eustáquio Neves, die der zeitge­nös­si­schen Fotografie durch eine expres­sive dokumen­ta­ri­sche Form und ihre Experi­men­tier­lust neue Impulse gaben.

Diese vier Genera­tionen umfas­sende Schau beschäf­tigt sich mit der unter­schied­li­chen Wahrneh­mung der Ethnien, dem modernen Bildjour­na­lismus, der Bildsprache der Fotografie, der postko­lo­nialen Vision einer neuen Nation, den Lebens­räumen einer wirtschaft­lich als Schwel­len­land beschrie­benen Nation. Gleich­wohl wird das im Ausland gängige Bild eines grandiosen, leicht­le­bigen Landes zwischen Exotismus und Erotismus nicht unter­mauert, sondern vielmehr das Wechsel­spiel einer aus Harmonie und Dissonanz heraus­ge­bil­deten Identität analysiert.

Künstler: Araquém Alcântara, Geraldo de Barros, Maureen Bisilliat, Luiz Braga, Mario Cravo Neto, Valdir Cruz, Carlos Fadon Vicente, Thomaz Farkas, Luiz Carlos Felizardo, Walter Firmo, Luis Humberto, Elza Lima, Rubens Mano, Juca Martins, Chris­tiano Mascaro, José Medeiros, Benedicto Nair, Eustáquio Neves, Celso Oliveira, Gal Oppido, Kenji Ota, Arnaldo Pappa­lardo, Miguel Rio Branco, Antonio Saggese, Sebastião Salgado, Tiago Santana, Marcos Santilli, Cássio Vascon­cellos, Pedro Vasquez, Pierre Verger, Ed Viggiani

Katalog
Brasi­lia­ni­sche Fotografie 1946–1998. Labirinto e Identidades
Text von Rubens Fernandes
20 x 25 cm, 202 S., 76 s/w und 48 farbige Abb.
Hatje Cantz Verlag, Ostfil­dern-Ruit 1999
ISBN 3–7757-0860‑X
vergriffen