Jean-Marc Bustamente

A world at a time

10. 9. — 27. 11. 1994

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Jean-Marc Busta­mante wurde 1952 in Toulouse geobren und gehört zu den anerkannten jungen Künstlern. Trotzdem ist die Ausstel­lung ‘A WORLD AT A TIME’ im Kunst­mu­seum Wolfsburg erst seine zweite Einzel­aus­stel­lung in Deutsch­land. Im Laufe der Jahre hat Jean-Marc Busta­mante ein komplexes Werk geschaffen, das über vorge­fer­tigte Theorien und Systeme weit hinaus­geht. Seine Sicht der Welt drückt er seit 1977 in großfor­ma­tigen Fotos aus. Gleich­zeitig hat er Skulp­turen entwi­ckelt, die sich mit Landschaften, mit Orten und Stätten und mit der dortigen Abwesen­heit des Körpers beschäf­tigen. Ein wesent­li­ches Thema dabei ist die Verknüp­fung des gedank­lich abstrakten ‘Raumes’ mit dem realen Raum in Natur und Architektur.

Die Ausstel­lung im Kunst­mu­seum Wolfsburg zeigt deutlich den Prozess der Umwaldung eines sehr fassbaren Ortes, eines Un-Ortes in einen tatsäch­lich erfahr­baren Raum. Für Wolfsburg und für das neue Museum ist dies sowohl im übertra­genen Sinne zu verstehen, als auch konkret – im Bezug auf das Gebäude. Umgekehrt werden aber auch die Arbeiten erst im vorge­ge­benen Raum greifbar.

Die große Ausstel­lungs­halle des Kunst­mu­seums Wolfsburg bezeichnet Jean-Marc Busta­mante als ‘eine Heraus­for­de­rung’. Hier kann er zum ersten Mal seine drei großen Boden­skulp­turen ‘Site I, II und III’ aus den Jahren 1991/92 in einem Raum instal­lieren. ‘Site’ übersetzt er mit ‘Stätte’ und bezieht damit den histo­ri­schen Kontext ein, in dem ein Ort steht. Jede Arbeit ist ca. 5 x 5 m groß  und wiegt über 2,5 Tonnen. Gefertigt aus Stahl, wurden die Plastiken nach dem Zusam­men­schweißen mit der orangen Rostschutz­farbe Bleimen­nige angestri­chen. Diese Vorstreich­farbe soll den Schwe­be­zu­stand verdeut­li­chen, in dem sich die Skulp­turen befinden: nicht mehr unbear­beitet, aber auch noch nicht fertig. Auf ‘Site I und II’ sind Struk­tur­ele­mente aufge­stellt, die wir aus unserem täglichen Umgang mit Archi­tektur kennen und die so zu einem Teil unserer Kultur geworden sind. Ihr modell­hafter, zaunar­tiger Charakter soll uns jedoch auch die Begren­zungen von Archi­tektur vor Augen führen. Die Stangen hingegen, die auf ‘Site III’ liegen, sind Material, aus dem ein Gebäude erst noch konstru­iert werden muss.

Zum ersten Mal werden in der großen Halle des neuen Museums die Arbeiten eines zeitge­nös­si­schen Künstlers zu sehen sein, jetzt muss sich zeigen, ob sich die Skulp­turen in der Halle behaupten können. Werden sie Wider­stand leisten und ihre Autonomie vertei­digen oder ist die Halle der Wal, der die Skulp­turen wie Krill verschlingt?

Den massiven Stahl­plas­tiken stellt Jean-Marc Busta­mante elf Cibachrome gegenüber, die er wie alle seine Fotoar­beiten ‘Tableaux” nennt. Die Reihe der großfor­ma­tigen Fotos entstand 1991 in der Nähe von Barcelona. Vertikale Zypressen heben sich in dunklen schweren Eichen­holz­rahmen mit den Maßen 1,60 x 1,40 m von den Wänden fast plastisch ab.

Die dritte Werkgruppe besteht aus neuen, wenige Monate alten Skulp­turen: ‘Des Arbres de Noel’ (Die Weihnachts­bäume). In ihnen verbinden sich organi­sche und geome­tri­sche Formen. Der Umriss gewinnt wie in allen neueren Arbeiten an Bedeutung, der Rückgriff auf eine Zeichnung wird sichtbar. Im Gegensatz zu der großen, floralen Bodenform, die er auf der documenta IX zeigte und die er völlig homogen lackierte, behandelt er die Oberfläche der 2,50 m hohen Bäume aus 1 cm dicken Stahl­platten sehr viel freier. Mehrere Farbschcihten lassen einen maleri­schen Duktus erkennen, während die phalli­sche Form mit scharfer Spitze eine brutalere, aggres­si­vere Seite seiner Arbeiten offenbart. Die Ausstel­lung zeigt ein breites Spektrum der Arbeit des Künstlers, den Umgang mit archi­tek­to­ni­schen, skulp­tu­ralen, fotogra­fi­schen, zeich­ne­ri­schen und maleri­schen Elementen.

‘Meine Arbeiten mögen manchmal kalt erscheinen, aber eigent­lich habe ich ein sehr ausge­prägtes Verhältnis zur Materie, zur Erde, zum Stahl, zum Beton, zu den Stätten… Ich stelle keine Berech­nungen an, damit meine Skulp­turen ausba­lan­ciert wirken, aber der sensible poetische Charakter der Plastiken, ihre analy­ti­schen Dimen­sionen, geben ihnen ein Gleich­ge­wicht, eine formale Ausge­wo­gen­heit im Bezug auf die Geschichte… An der Form meiner Skulp­turen habe ich kein beson­deres Interesse. Das ist auch nicht, was ich suche. Das, was ich will, ist die Beziehung zwischen dem Kunstwerk und dem Betrachter zu verändern. Es ist nicht länger das Werk, das die Führung übernimmt, das instu­riert. Es muss erst selbst die Existenz desje­nigen bezeugen, der es ansieht und der so die gleiche Verant­wor­tung für das Werk erhält’.