Tuning Up #5

7. 3. — 30. 8. 1998

Infos

Mit Tuning Up #5 präsen­tiert das Kunst­mu­seum Wolfsburg eine Auswahl von 44 Arbeiten seiner ca. 200 Werke umfas­senden Sammlung zeitge­nös­si­scher Kunst. In fünfter Folge werden die Arbeiten der sich im Aufbau befin­denden Sammlung zusammen mit einzelnen Leihgaben aufein­ander abgestimmt. Leitendes Prinzip der Sammlung bleibt nach wie vor, sich auf wenige künst­le­ri­sche Positionen zu beschränken und diese mit Querschnitten durch das Œuvre, Serien oder Werkgruppen zu vertiefen.

Im Foyer des Museums wird der Besucher von Nam June Paiks „Andy Warhol Robot“ (1994) empfangen, eine Hommage an denje­nigen Künstler, der nicht zuletzt mit seinen Filmen auf viele seiner Kollegen prägend gewirkt hat. Unter der Empore der Ausstel­lungs­halle erwartet den Besucher Douglas Gordons „24 Hour Psycho“ (1993), der 1996 für seine Arbeit mit dem Turner Prize der Tate Gallery ausge­zeichnet wurde. Dem auf einen Tag Spiel­dauer, d. h. 2 Bilder pro Sekunde verlang­samten Film Hitch­cocks schließt sich Gary Hills „Search­light“ (1986–1994) an, eine Video­in­stal­la­tion, die den Betrachter auf ähnlich subtile Weise über Prozesse des Sehens und Wahrneh­mungs­ge­wohn­heiten reflek­tieren lässt.

Panama­renkos „Flugzeug“ (1967) ist erstmals auf dem Boden der Halle ‚gelandet‘, flankiert von Paul Grahams 10-teiliger Fotoserie „Ceasefire“, April 1995, die den Himmel über 10 Orten des vom Bürger­krieg gezeich­neten Nordir­land während eines Waffen­still­stands zeigt. Diese Leihgabe eröffnet die Möglich­keit, einen weiteren Aspekt des Werkes von Paul Graham im Kunst­mu­seum Wolfsburg kennenzulernen.

Hinter Panama­renkos Flugzeug stößt man auf Carl Andres „Uncarved Blocks“ (1975), eine Gruppe von 15 Kombi­na­tionen liegender Holzblöcke. Ganz im Gegensatz zu seiner benach­barten Stahl­platten-Arbeit „45 Roaring Forties“, Madrid 1988 (Leihgabe) und den meisten anderen seiner Arbeiten ist „Uncarved Blocks“ strikt nach Norden ausge­richtet. Sie wird hier in einer neuen Variante präsen­tiert. Die Skulp­turen von Carl Andre werden umgeben von drei Arbeiten des Nieder­län­ders Jan Dibbets und einer Auswahl von dessen Archiv (1967–1996). Im Zentrum der Halle schlän­gelt sich eine Lokomo­tive auf einer Eisen­spi­rale vom Boden bis unter das Hallen­dach, eine unbeti­telte Arbeit von Jannis Kounellis, die er erstmals 1977 in der Galerie Tucci Russo realisierte.

Ein Gang durch die Ostka­bi­nette führt zunächst in das „Bilder­zimmer“ (1995) von Georg Herold, einem Querschnitt seines Œuvres, vertreten u. a. durch Kaviar­bilder und zwei Vitrinen. Im nächsten Raum schließen sich Bruce Naumans „10 Heads Circle/In and Out“ (1990) und „Frankfurt Portfolio“ (1990) an. Im Gegensatz zu „10 Heads Circle/In and Out“, in der das Anein­ander und Gegenüber der Köpfe ein Bild der Kommu­ni­ka­ti­ons­lo­sig­keit bietet, steht „High Moon“ (1991) von Rebecca Horn ganz im Zeichen einer poeti­schen Bipola­rität. Ganz und gar organisch hingegen bietet sich Tony Craggs mehrtei­lige biomorphe Gipsskulptur „Formi­ni­fera“ (1991) dar.

Andy Warhols großfor­ma­tiges Gemälde „Double Be a Somebody with a Body“ korre­spon­diert mit den frischen „Garden Paintings“ #1 und #3 (beide 1996) von Gary Hume, der mit seinen bunt spiegelnden Lackober­flä­chen an die Pop Art anknüpft, um sie jedoch als „schöner Terrorist“ (Gary Hume) auf überra­schende Weise zu unter­laufen. Die Gemälde Humes bilden einen starken Kontrast zu Jörg Immen­dorffs „Kleine Reise (Hasen­sülze)“, die die künst­le­ri­sche Situation nach der Wieder­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands kommen­tiert. Sekun­den­pro­to­kolle der eigenen Familie und ihrer Lebens­um­stände zeigen 6 unbeti­telte Fotogra­fien (1994–1996) des jungen Englän­ders Richard Billingham. Ganz im Gegensatz zu Billing­hams Fotogra­fien sind „Untang­ling“ (1994) und die auf der documenta X präsen­tierte Schwarz­weiß­ar­beit „Passerby“ (1996) von Jeff Wall sorgfältig arran­giert. Während Jeff Wall in „Untang­ling“ Leucht­mittel einsetzt, um dem Bild durch die rücksei­tige Beleuch­tung zu einer stärkeren Präsenz zu verhelfen, hat Georg Herold für seine Ausstel­lung im Kunst­mu­seum 1995 ein „Lichthaus“ mit dem vollstän­digen Titel „House within His Darkness (Cyber-Merz) Holz, Stahlrohr, Leucht­mittel, Elektro­in­stal­la­tionen, Apfelsine“ gebaut, das inzwi­schen erworben werden konnte und nun seitdem erstmals wieder gezeigt wird.

Als ‚Häuser‘ im weitesten Sinne sind auch die beiden Arbeiten „Igloo Fibonacci“ (1970) und „Objet cache-toi“ (1968) von Mario Merz anzuspre­chen, die inzwi­schen zum Bestand­teil eines größeren Ensembles von Mario-Merz-Arbeiten geworden sind, zu denen „Leone di Montagna“ (1981) sowie auch der mit Obst und Gemüse gedeckte Tisch (Tavola) gehört. Durch die Kombi­na­tion des Tisches mit der Leihgabe „6765“ wird „Tavola a spirale per festino di giornali datati il giorno del festino“ (Spiral­tisch zum Fest der Zeitungen mit dem Datum des Festtages) von 1976 wieder in der Form der Erstin­stal­la­tion gezeigt. Den ‚Schluss­stein‘ des Rundgangs im 2. Oberge­schoß bilden zwei Werke Anselm Kiefers: „20 Jahre Einsam­keit“ und „The Secret Life of Plants“ (1996). Während man die erstere Arbeit als Resümee von Kiefers Schaffen der 70er- und 80er-Jahre betrachten kann und nicht zuletzt als Kommentar einer sehr privaten Seite seiner Biografie bewerten muss, verströmt „The Secret Life of Plants“ als eines seiner jüngsten Bilder den Geist einer univer­sellen Kosmologie.

Zwei Arbeiten von Fischli/Weiss, die erstmals 1995 auf der Biennale in Venedig gezeigte Arbeit „Ohne Titel“ (1993–1995) sowie das „Kanal-Video“ (1992), sind in deren Ausstel­lung „Arbeiten im Dunkeln“ integriert, die mehrere Wochen lang parallel zu Tuning Up #5 im Kunst­mu­seum Wolfsburg zu sehen ist. Umgekehrt ist in Tuning Up #5 deren Fotoserie „Stiller Nachmittag“ (1984/85) integriert, wie auch an verschie­denen anderen Stellen des Hauses Arbeiten von Fischli/Weiss zu entdecken sind.

Katalog
Tuning Up #5
15 x 18 cm, ca. 40 S., 1 s/w und 17 farbige Abb.
Wolfsburg 1998
ISBN 3–9804827‑7–4